Sexualität und Gesundheit in Österreich
Beim Kongress „Sexual Health and Gender“ in Wien präsentieren internationale SexualforscherInnen aktuelle Erkenntnisse über sexuelle Gesundheit aus geschlechtsspezifischer Sicht. Dazu zählen auch die Resultate eines aktuellen in ganz Österreich durchgeführten „Sex-Survey“, der nicht nur das Sexualverhalten der ÖsterreicherInnen, sondern auch die Einstellungen zu diesem Thema dokumentiert.
Insgesamt wollte die Tagung Tabu-Themen wie sexuelle Störungen, Sexualität im Alter oder gleichgeschlechtliche Liebe öffentlich machen und dazu beitragen, dass die sexuelle Gesundheit besser in die medizinische Versorgung und andere Gesundheitsdienste integriert wird.
Geschlechtsspezifische Aspekte im Fkous: Die Erhebung „Sexualität und Gender“ beschäftigt sich ebenso wie der Kongress mit einer geschlechtsspezifischen Sicht der Sexualität. „Unsere Umfrage unter rund 1.000 österreichischen Frauen und Männern ab 15 Jahren zeigt für einige Themen deutliche Unterschiede“, sagt Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger, Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien und Projektleiterin der Studie.
- So deutet die Erhebung unter anderem auf mehr Toleranz beim weiblichen Geschlecht hin. Sie zeigt unter anderem, dass mehr Frauen als Männer lesbische Sexualität „in Ordnung finden“, nämlich 67 Prozent gegenüber 65 Prozent. Es finden aber auch 67 Prozent der Frauen und nur 61 Prozent der Männer schwule Sexualität „in Ordnung“.
- Der Aussage, dass „das Recht auf Schwangerschaftsabbruch jeder Frau zugestanden werden muss“, stimmen hingegen 89 Prozent der Männer und 82 Prozent der Frauen zu.
- Gleich 61 Prozent der Männer, aber nur 37 Prozent der Frauen beurteilen die Aussage, dass „Sexualität ohne Orgasmus nicht befriedigend“ sei, als „sehr“ oder „ziemlich“ zutreffend.
Die Umfrage
Der sogenannte Sex-survey wurde in Form einer telefonischen Befragung von 1.000 Frauen und Männern in allen österreichischen Bundesländern im Alter von 15 bis über 50 Jahren in den Monaten März und April 2005 durchgeführt. Der voll strukturierte Fragebogen umfasste 74 Fragen bei einer Interviewdauer von rund 20 Minuten; die Daten wurden von 21 Interviewer/innen mittels CATI (Computer Aided Telephone Interviews) erfasst. Zur Gewährleistung der Repräsentativität wurden die Da-ten hinsichtlich des Geschlechts, Alter, Bildung und Erwerbsstatus gewichtet.
In der Studie wurden acht Aspekte der Lebenszufriedenheit definiert:
1.) die Zufriedenheit mit dem Freundes- und Bekanntenkreis;
2.) mit der Partnerschaft;
3.) mit der allgemeinen Lebenssituation;
4.) mit dem Familienleben;
5.) mit der beruflichen Situation;
6.) mit der Gesundheit;
7.) mit der finanziellen Situation und
8.) mit dem Sexualleben.
Auffälligstes Ergebnis war dabei, dass trotz – oder wegen? – der Omnipräsenz des Themas Sex, in der Rangreihung der acht abgefragten Bereiche der Lebenszufriedenheit – die sexuelle Zufriedenheit bloß am vorletzten Rangplatz landete. Wobei die Zufriedenheit mit dem Sexualleben der einzige Bereich der Lebenszufriedenheit war, bei dem sich signifikante Geschlechtsunterschiede gezeigt haben, demnach waren Frauen weniger mit ihrem Sexualleben zufrieden als Männer.
Ergebnisse nach Themenschwerpunkten (Zusammenfassung)
1.) Einstellung zur Sexualität
Einstellungen zu Fragen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit relevante Einstellungen kreisen unter anderem um die Aspekte Konservativismus, Liberalität oder Risiko-bereitschaft. Männer und Frauen unterscheiden sich in vielen dieser Dimension stark voneinander.
Frauen sehen sich selber als liberaler als Männer (82 vs. 79 Prozent sehr/ziemlich), schätzen sich aber zugleich als viel traditioneller ein als die Männer (67 vs. 42 Prozent sehr/ziemlich). Was die Risikobereitschaft betrifft, liegen jedoch deutlich die Männer vorne (57 vs. 43 Prozent sehr/ziemlich). Am deutlichsten ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern jedoch in der Selbst-einschätzung einer feministischen Haltung – hier liegen Frauen weit vor den Männern (44 vs. 23 Prozent sehr/ziemlich).
Anbei einige Resultate, die im Hinblick auf geschlechtsspezifische Sichtweisen besonders interessant scheinen, zumal ja auch die Einstellung der Befragten zu einigen kontroversen Sex-Themen erhoben wurden:
- Dabei zeigte sich, dass mehr Frauen als Männer lesbische Sexualität „in Ordnung finden“, nämlich 67 Prozent gegenüber 65 Prozent.
- Wenn es um schwule Sexualität geht, gibt es im Hinblick auf die Toleranz in Österreich noch größere geschlechtsspezifische Unterschiede: wiederum 67 Prozent der Frauen, aber nur 61 Prozent der Männer finden schwule Sexualität „in Ordnung“.
- Der Aussage, dass „das Recht auf Schwangerschaftsabbruch jeder Frau zugestanden werden muss“, stimmen hingegen mehr Männer zu: nämlich 89 Prozent gegenüber 82 Prozent der Frauen.
- Der Ansicht, dass „Sexualität das Wichtigste in einer Partnerschaft“ sei, stimmen 58 Prozent der Männer, aber nur 44 Prozent der Frauen „sehr“ oder „ziemlich“ zu.
- Gleich 61 Prozent der Männer, aber nur 37 Prozent der Frauen beurteilen die Aussage, dass „Sexualität ohne Orgasmus nicht befriedigend“ sei, als „sehr“ oder „ziemlich“ zutreffend.
- Mehr Männer als Frauen befürworten vorehelichen Geschlechtsverkehr (93 vs. 91 stimmen sehr/ziemlich zu)
- 15 Prozent der Männer, aber immerhin auch neun Prozent der Frauen glauben, dass „der Seitensprung eines Mannes weniger schlimm als jener einer Frau“ sei.
Über sexuelle Erfahrungen (von unterschiedlicher Häufigkeit) mit gleichgeschlechtlichen Partner/innen berichten übrigens 10 Prozent der Frauen und 12 Prozent der Männer.
2.) Sexuelle Beschwerden
Aber nicht nur bei den Einstellungen zur Sexualität, auch bei sexuelle Dysfunktionen gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen: 39 Prozent der österreichischen Frauen klagen darüber, dass sie oftmals oder gelegentlich mangelndes sexuelles Interesse, also Lustlosigkeit, verspüren. Bei den österreichischen Männern beträgt der entsprechende Anteil nur 23 Prozent. Doppelt so viele Frauen, nämlich sechs Prozent gegenüber drei Prozent bei den Männern, geben an beim Geschlechtsverkehr „oft“ oder „gelegentlich“ Schmerzen zu verspüren.
Sexuelle Beschwerden sind also offenbar beim weiblichen Geschlecht wesentlich häufiger als bei Männern. Das wird auch durch verschiedene internationale Studien zu diesem Thema bestätigt. So hat etwa der „National Health and Social Life Survey“ in den USA gezeigt, dass 43 Prozent der Frauen, aber nur 31 Prozent der Männer an einer Form sexueller Störungen leiden.
Das Ausmaß an sexuellen Problemen bei Männern und Frauen steht also offenbar in einer umgekehrten Relation zum jeweiligen Ausmaß an medialer und medizinischer Aufmerksamkeit, dass diesen Schwierigkeiten bislang geschenkt wurde. Denn sexuellen Störungen sind in den vergangenen Jahren zwar mehr als bislang zu einem öffentlichen Thema geworden. Doch dies geschah meiner Meinung nach in einer einseitigen Form.
Die „Potenz-Diskussion“ dominiert, und es geht fast ausschließlich um die Probleme von Männern (Erektile Dysfunktion, vorzeitiger Samenerguss usw.) Dazu mögen wohl auch wirtschaftliche Interessen beigetragen haben, speziell die Markteinführung von Potenzmittel wie Viagra, Levitra, Cialis oder Uprima durch große Pharmakonzerne.
3.) Sexualität im Alter
Univ.-Prof. Dr. Claus Buddeberg von der Abteilung für Psychosoziale Medizin des Universitätsspitals Zürich, hat rund 1.500 Männer und Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz zur „Sexualität in der zweiten Lebenshälfte“, also der Sexualität im Alter befragt.
Die Resultate dieser Studie, an der Menschen zwischen 45 und 91 Jahren teilnahmen, zeigen, dass Sexualität bis ins höchste Lebensalter ein relevantes Thema bleibt. Zwar verringern sich das sexuelle Interesse und mehr noch die tatsächliche sexuelle Aktivität mit steigendem Alter, jedoch geschieht dies nur sehr allmählich. Laut der Studie von Buddeberg ist erst bei den 75-Jährigen und Älteren ein starkes Absinken zu erkennen.
Auch die weit verbreitete Ansicht, dass das sexuelle Verlangen von Frauen mit dem Beginn der hormonellen Umstellung abnimmt, kann inzwischen als widerlegt gelten. Das zeigt eine Erhebung unter rund 500 Frauen zwischen 50 und 70 Jahren, die von Dr. Beate Schultz-Zehden von der Freien Universität Berlin durchgeführt wurde. Zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr wünschen sich die befragten Frauen durchschnittlich mehrmals im Monat Sex. Insgesamt reicht das Spektrum der in dieser Studie erhobenen sexuellen Bedürfnisse älterer Frauen vom täglichen Wunsch nach sexuellem Kontakt bis hin zur völligen Ablehnung.
4.) Anliegen homosexueller Männer und lesbischer Frauen
Auch die Anliegen homosexuell orientierter Menschen werden im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung selten thematisiert. Interessante Daten liefert dazu beispielsweise eine 2004 veröffentlichte Untersuchung von Sigma Research, einer britischen Einrichtung für Sozialforschung. Die Studie mit dem Titel „Doctoring Gay Men“ beschäftigt sich mit schwulen Männern und ihrem Verhalten beim Besuch von Ärztinnen und Ärzten.
Laut der Erhebung haben sich nur 27,5 Prozent gegenüber ihrem praktischen Arzt oder ihrer praktischen Ärztin geoutet. Die überwältigende Mehrheit der Männer berichtete hingegen von einer extremen Abneigung, mit ihren Anliegen über sexuelle Gesundheit zu Allgemeinmedizinerinnen oder Allgemeinmedizinern zu gehen. Sie fürchten, dass ihre Sexualität als krankhaft angesehen wird und sie selbst als „schmutzig“ oder „verantwortungslos“ stigmatisiert werden. Urologen und Urologinnen werden hingegen als vorurteilsfrei gesehen und wegen ihres Fachwissens bevorzugt.
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