Krebs und Sexualität
Klar, nach der Diagnose „Krebs“ konzentrieren sich zunächst alle Gedanken und Gefühle auf die Bewältigung der Krankheit.
Doch sexuelle Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse sind Teile des Menschen und begleiten ihn auch während einer Krankheit. Doch noch immer trauen sich viele Betroffene nach einer Krebsdiagnose nicht, sich Ihrem Partner, Ihrer Partnerin und/oder dem behandelnden Arzt anzuvertrauen.
„Sehr viele Krebserkrankungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit sexueller Funktionsfähigkeit. Rund ein Fünftel bis zu einem Drittel der betroffenen Patienten hat auch nach erfolgreich abgeschlossener Behandlung Beeinträchtigungen im sexuellen Bereich“, konstatiert Dr. Christine Centurioni, Psychotherapeutin und Leiterin der Psychoonkologischen Abteilung am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams, im Vorfeld des Kongresses der Österreichischen Gesellschaft für Psychoonkologie.
Viele Krebspatienten leiden unter sexuellen Störungen, die sowohl körperlicher als auch psychischer Natur sein können. Die Lebensqualität der Betroffenen, ihr Selbstwertgefühl und die Zufriedenheit in der Partnerbeziehung werden dadurch oft erheblich beeinträchtigt. „KrebspatientInnenen erleben Operationen im intimen Bereich aber oft nicht nur als körperliche Beeinträchtigungen, sondern auch als Angriff auf ihre Identität und ihr Selbstwertgefühl“, erklärt Dr. Centurioni.
„Frauen reagieren häufig mit Lustlosigkeit, Erregungsstörungen, Scheidenkrämpfen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Orgasmusschwierigkeiten. Betroffene Männer leiden unter mangelnder Lust, Erektionsschwäche, schmerzhaftem Sexualverkehr, vorzeitiger oder ausbleibender Ejakulation.“
Auswirkungen von Krebserkrankungen und -behandlungen
„Jeder zweite Mann leidet nach einer Prostatakrebsoperation unter Erektionsstörungen“, so Dr. Centurioni. „Bei der Brustkrebserkrankung hat die Operation an sich zwar keinen direkten Einfluss auf die sexuelle Funktionsfähigkeit, wohl aber auf die Emotion der betroffenen Frau.
45 Prozent aller Frauen, denen eine Brust abgenommen und rekonstruiert wurde, fühlen sich in ihrer Sexualität beeinträchtigt, und 72 Prozent der männlichen Patienten mit künstlichem Darmausgang klagen ein Jahr nach dem Eingriff über eine Beeinträchtigung des Sexuallebens.“
Zudem können auch verschiedene medizinische Therapiemaßnahmen Nebenwirkungen haben, welche die sexuelle Sensibilität und Sensitivität betreffen. Dazu zählen Chemotherapien, die mitunter auch zu einer Abnahme der Testosteronproduktion und zu einer Beeinträchtigung der Erektion führen.
Einige Medikamente, die gegen das Erbrechen bei der Chemotherapie wirken, können den Hormonhaushalt vorübergehend stören, und die Strahlentherapie kann die Schleimhäute im Genitalbereich der Frau und die Schwellkörper des Penis beeinträchtigen, sodass die sexuelle Funktionsfähigkeit eingeschränkt wird.
Die bei der Chemotherapie eingesetzten Medikamente greifen nicht nur die Krebszellen an, sondern auch alle gesunden Körperzellen, die sich gerade teilen. Die möglichen Nebenwirkungen sind von Art und Dosis der Medikamente abhängig. Sie lassen sich heute aber durch vorbeugende Maßnahmen weitgehend vermeiden oder wirkungsvoll lindern. Die Begleiterscheinungen sind bei den Patienten unterschiedlich stark ausgeprägt.
Vorübergehend fördern die Medikamente Schwäche, Übelkeit und Brechreiz, bei manchen Menschen kann Haarausfall bis zum völligen Haarverlust eintreten. Die Haare wachsen nach einiger Zeit wieder nach. Meist werden die Medikamente in eine Vene verabreicht und wirken dann im ganzen Körper. In einigen Fällen ist die örtlich begrenzte Verabreichung üblich, wie z. B. das kurzzeitige Füllen der Blase mit einem Zytostatikum zur Vorbeugung von Blasenkrebsrückfällen. Dies kann zu einer Entzündung der Blase und der Harnröhre führen, die Schmerzen beim Sex verursachen kann.
Da Abbauprodukte bzw. nicht vom Stoffwechsel verarbeitete Reste einiger Zellgifte in die Samenflüssigkeit übergehen können, sollten Patienten während einer Chemotherapie ein Kondom benutzen, um ihre Partnerin vor Schleimhautreizungen zu schützen.
Obwohl viele Nebenwirkungen durch bestimmte Pflegetipps verhindert und gelindert werden können, ist durch die Belastung während der Chemotherapie und danach die sexuelle Lust oft gedämpft. Bei der Chemotherapie kann das Gefühl aufkommen, an körperlicher Attraktivität verloren zu haben: Gewichtsabnahme, manchmal Haarausfall, bisweilen Katheter, die vielleicht über Wochen oder Monate getragen werden müssen, setzen das Selbstbild oft herab. Wenn die Patienten sich nach etwa ein bis zwei Wochen insgesamt wieder besser fühlen, kehrt meistens auch die Lust zurück.
Sexualität: Noch immer ein Tabu
Die Expertin bedauert, dass das Thema Sexualität bei Krebspatienten von den Ärztinnen und Ärzten viel zu selten angesprochen wird. „Mindestens 70 Prozent aller Tumorpatienten wünschen ausdrücklich, etwas über mögliche Auswirkungen der Erkrankung oder Therapie auf die Sexualität zu erfahren. 90 Prozent würden jedoch von sich aus nicht den Arzt darauf ansprechen, und die Mehrzahl fühlt sich in dieser Frage allein gelassen.“
Hinweise darauf, ob ein Problem eher auf körperliche Veränderungen oder auf psychische Belastung zurückzuführen ist, ergeben sich aus der Kenntnis der Umstände des Auftretens. Wenn es z. B. nicht mehr so leicht fällt, eine Erektion zu bekommen oder die Gliedsteife nicht ausreichend anhält, ist zu fragen, ob das Problem situationsabhängig ist.
Tritt es nur mit der Partnerin auf oder auch, wenn Sie alleine Ihren Penis stimulieren? Ist die Erektion in einer entspannten Situation besser? Tritt das Problem in allen Situationen gleichermaßen auf, wird dies als deutlicher Hinweis auf eine körperliche Hauptursache gesehen. Ist keine organische Ursache feststellbar, ist zu vermuten, dass die Störung überwiegend seelisch bedingt ist.
Wenn sexuelle Störungen psychisch bedingt sind, kann es für Krebspatienten hilfreich sein, zumindestens vorübergehend eine psycho-soziale Betreuung zu beanspruchen.
Professionelle Sexualberatung kann effizient helfen
Das Thema Sexualität sei nach wie vor ein Tabu, und es gebe vor allem kaum spezielle Sexualberatungen. Dabei ließen sich viele der diesbezüglichen Probleme mittels Aufklärung geschulter Experten relativ leicht beheben, so dass dem Entstehen chronischer Störungen vorgebeugt werden kann.
Dr. Centurioni: „Krebspatientinnen sollten etwa wissen, dass eine Strahlentherapie des Bauchraums das Feuchtwerden der Vagina beeinträchtigt. Mit Gleitgels lässt sich dieses Problem beheben, und nach einer Operation kann ein Dilatator benutzt werden, um die Scheide zu weiten.
Für Männer mit Erektionsstörungen gibt es Erektionshilfesysteme oder sogenannte Potenzpillen – Medikamente, die zu einer Versteifung des Gliedes führen. Auch der Einsatz von Penis- oder Hodenprothesen ist möglich. Um das Wissen über derartige Hilfsmöglichkeiten den Betroffenen zukommen zu lassen, bräuchte es jedoch ein breiteres Angebot an professionellen Sexualberatungen für Krebspatientinnen und -patienten.
Einige Universitätskliniken bieten spezielle sexualmedizinische Sprechstunden an. Darüber hinaus gibt es in Deutschland zahlreiche Beratungsstellen, etwa von Pro Familia, sowie Selbsthilfegruppen, die Unterstützung bei Problemen im Bereich Partnerschaft und Sexualität anbieten.
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[Verfasst 06/2006, Update: 10/2022]