Sexuelle Hörigkeit & Liebe

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sexuelle Hörigkeit, Abhängigkeitsverhältnis, Sadomasochismus

Sophie K. wartet Tag für Tag sehnsüchtig, bis ihr Lebensgefährte Horst H. endlich von der Arbeit heimkommt. Ihre Gedanken kreisen ausschließlich um ihn. Doch ist er erst in ihrer Nähe, muss sie stundenlange Beschimpfungen und Drohgebärden über sich ergehen lassen. Seinen Beleidigungen – „Du nervst!“, „Hau ab, du Schlampe!“ – begegnet sie sogar noch mit Verständnis. „Im Bett klappt es gut“, sagt sie und meint damit ihre ständige Lust, sich Horst sexuell hinzugeben. Was dann folgt, sind Praktiken, zu denen sie von ihm nicht selten unter Anwendung körperlicher Gewalt gezwungen wird.

Sexuelle Hörigkeit nennt sich dieses suchtartige Abhängigkeitsverhältnis. „Ein sexuell Höriger hält diese Art der Zerstörung für Liebe“, erklärt Dr. Gerti Senger, Psychologin und Therapeutin. In dieser abnormalen Abhängigkeit von einem anderen Menschen gibt der untergeordnete Partner seine sexuelle Selbstbestimmung auf. Er ordnet sich dabei der anderen Person im Sexualverkehr bedingungslos unter. Sexuelle Hörigkeit entsteht in einem längeren Prozess, in dem der eigene Wille sukzessive verloren geht. Betroffene erkennen dieses Problem meist erst sehr spät und können es dann nur durch therapeutische Hilfe oder Eingriffe von außen bewältigen.

Die Suche nach Zuneigung

Wilhelm Reich, Vater aller Körper-Psychotherapien, nahm an, dass sexuelle Hörigkeit aus der Unterdrückung sexueller Bedürfnisse entsteht. Denn unterdrückte sexuelle Wünsche führen zur allgemeinen Schwächung der gefühlsmäßigen Funktionen. Vor allem gehen sie zu Lasten der Willensstärke und der Selbstsicherheit. Betroffene suchen häufig trotz ihrer negativen Erlebnisse in der Sexualität nach Zuneigung und Zuwendung. Es kommt zu einem Wiederholungszwang: Sexuell Hörige begeben sich immer wieder in die gleiche Situation, um einmal ihren verzweifelten Wunsch zu erfüllen: die ersehnte Zuneigung zu erhalten und alte Erfahrungen zu relativieren.

Produkt unserer Lebensgeschichte

Was sind die Ursachen für sexuelle Hörigkeit? Die Auslöser können oftmals im frühen Säuglingsalter gefunden werden. In der oralen Phase, also im ersten Lebensjahr, wird die narzisstische Seite des Menschen geprägt. Die Triebtheorie von Siegmund Freud besagt, dass in dieser Phase die Triebbefriedigung im Zentrum des kindlichen Universums steht. Es lernt, dass auch bei kurzzeitiger Frustration immer eine Bezugsperson da ist, die sich dessen Sorgen annimmt – es entsteht das sogenannte Urvertrauen. Dieses Vertrauen hilft auch im späteren Leben, mit Krisensituationen zurechtzukommen. „Wir sind ein Produkt unserer Lebensgeschichte“, erklärt Dr. Gerti Senger.

Wenn ein Kind in der oralen Phase seine Bezugsperson verliert, kann erheblicher psychischer Schaden angerichtet werden. Bei Störungen in dieser Phase fehlt die Entwicklung des Urvertrauens. Im Gegenteil – es wird eine Art Ur-Misstrauen aufgebaut. Wenn ein Mensch mit diesem Defizit in der Entwicklung in eine Krisensituation verfällt, fehlt ihm das Urvertrauen, um damit seine Gefühle abzufangen.

Der Betroffene ist weiter von der Triebbefriedigung abhängig, die für diese frühe Phase typisch ist. Er ist dann von Zuwendung durch andere Menschen in höchstem Maße abhängig, da er nie erfahren hat, dass er Krisen auch alleine meistern kann. Er ist in seiner Selbstachtung ständig von anderen Menschen abhängig. Sexuell Hörige suchen Zuneigung und Selbstbestätigung über Sex.

Sadomasochismus vs. sexuelle Hörigkeit

Ist Sadomasochismus gleichzusetzen mit sexueller Hörigkeit? Nicht unbedingt, aber in Beziehungen, in denen ein sexuell höriges Abhängigkeitsverhältnis herrscht, wird Sadomasochismus oft praktiziert. Nicht jeder Mensch mit dieser sexuellen Neigung ist allerdings sexuell hörig. Umgekehrt sind sexuell Hörige gefährdet, in sadomasochistischen Beziehungsmissbrauch zu geraten. Die hörige Person übernimmt dabei die Rolle des Sklaven und lässt sich von der dominanten Person erniedrigen und demütigen, um dadurch sexuell befriedigt zu werden.

Sexuell Hörige als auch Sadomasochisten lassen sich körperliche Schmerzen zufügen, um daraus Lust zu gewinnen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Masochisten sich gerne unterwerfen und im Gegensatz zu sexuell Hörigen die Regeln mitbestimmen können. Abhängigkeit ist bei Sadomasochisten jedoch Teil des Spiels und oft ist es schwer, eine Grenze zur Hörigkeit zu ziehen. Diese ist auf jeden Fall dann überschritten, wenn die bei solchen Praktiken übliche „Notbremse“ (meist ein sogenanntes „safe word“) nicht vereinbart wird und der in jeder Hinsicht unterlegene Partner somit nicht zeigen kann, dass er die Handlungen beenden möchte.

Loch in der Persönlichkeit stopfen

Um diesem Zwangverhalten zu entkommen, hilft meist nur eine Psychotherapie. Sexuelle Hörigkeit wird dort ähnlich anderen Suchtverhaltensmustern behandelt. „Es muss zuerst das Loch in der Persönlichkeit gestopft werden“, erklärt Dr. Gerti Senger, „erst dann ist man stark genug, um sich zu befreien.“

Doch bis sich Betroffene dazu durchgerungen haben, ihr Leben in einer Therapie aufzuarbeiten, liegt meist ein langer Leidensweg hinter ihnen. Sie schämen sich für ihr Problem und suchen erst dann professionelle Hilfe, wenn der Leidensdruck zu groß wird. Da die Ursachen meist in der Kindheit liegen, ist sexuelle Hörigkeit zwar schwer therapierbar, die Behandlung kann aber – beispielsweise durch Gesprächspsychotherapie – durchaus Erfolge bringen.

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Quellen: Interview mit Dr. Gerti Senger

lifeline.de: Sexsucht und sexuelle Hörigkeit
Dr. Werner Stangl: Hörigkeit, Abhängigkeit, Beziehungssucht

Fotohinweis: sofern nicht extra anders angegeben, Fotocredit by Fotolia.com

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